Wie man GUT schreibt
Die Frage aller Fragen - und sie wird viel zu selten gestellt!
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Wie schreibt man gut?
Wie schreibt man gut?
Was kann man dazu eigentlich sagen? DARF man denn etwas dazu sagen? Oder stellt man sich damit schon ganz frech auf ein Podest, unterstellend, man selber könne gut schreiben und alle anderen müßten es - von einem - erst lernen?
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Ich denke die Frage "Wie schreibt man GUT?" ist für mich nicht mit konkreten Ratschlägen "gut schreibt man so und so" zu beantworten.
Genau das denke ich auch. "Wie schreibt man GUT?" - darauf gibt es keine Antwort, und es wird nie ein Rezept gefunden werden, keine Formel und kein Verfahren.
Rezepte/Formeln - das sind nichts anderes als Genres, nicht wahr? Man nehme... eine Leiche, unklare Todesumstände, einen Ermittler. Menge etwas Konfusion bei, einen großen Schuß Spannung, und zum Schluß gebe man eine Lösung hinzu. Das nennt man "Krimi". Man nehme... eine Abweichung vom Alltag, die zu einer bedrohlichen Situation eskaliert, füge ein finsteres Komplott hinzu, fein abgeschmeckt mit einem standhaften Helden, lasse diesen im entscheidenden Augenblick ein Jota klüger/tapferer/stärker sein als den Bösewicht, und garniere dies am Schluß mit einer dramatischen Rettung in letzter Sekunde. Das nennt man "Thriller".
Und es gibt es in jedem Genre gute, schlechte und mittelmäßige Werke. Die Frage, ob ein Text in ein Genre gehört oder nicht, führt deshalb nicht weiter. Das wäre etwa so sinnvoll wie zu sagen, ein Lied ist nicht gut, weil es ins Genre "Blues" fällt (Rezept hier: 4 Takte Tonika, 2 Takte Subdominante, 2 Takte Tonika, 1 Takt Dominante, 1 Takt Subdominante, 1 Takt Tonika, 1 Takt z.B. Dominant-Septakkord).
Also, nochmal: die Frage "Wie schreibt MAN gut?" ist sinnlos. Aber die Frage "Wie schreibe ICH gut?" macht Sinn.
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Das Ergebnis, was 'gute Arbeit' ist, ist eindeutiger. Bei Geschriebenem läßt sich diese Grenze nicht so leicht ziehen, oder?
Genau das ist es, was man lernen muß! Ich glaube, daß man um so besser schreiben kann, je präziser man unterscheiden lernt, was von dem, was man geschrieben hat, gut und was schlecht ist. Hier liegt der Schlüssel - interessanterweise nicht in dem Teil in uns, der Text PRODUZIERT, sondern in dem, der Text BEURTEILT. Nicht wahr, alle Schriftsteller haben irgendwann diesen Kniff entdeckt, sich etwas laut vorzulesen und dann hinzuspüren, ob es irgendwo holpert, ob da ein Wort den Gesamtklang stört, ob die Satzstellung ungeschickt ist. Und auch, erkennen zu können, was man GUT gemacht hat - das ist extrem wichtig. Daß ein Satz auf den ersten Blick schräg wirkt, aber gerade dadurch stark und richtig ist, eben gut. Daß ein Dreh in der Geschichte, der einem eingefallen ist, gut ist.
Ich mache es so, daß ich beim Durchgehen von Geschriebenem (Korrekturlesen) nicht nur das anstreiche, was mir als schlecht aufstößt, sondern auch das, was gut ist und so bleiben soll. (Das kriegt einen senkrechten Strich am Rand.)
Dieses Lesen und Bewerten ist ein genauso anstrengender, kreativer Akt wie das Schreiben selbst. Hier muß man noch mehr dabei sein. Und man kann auch viel falsch machen - genial gelungene Sätze in platte, wohlerzogene Sätze zurückstutzen z.B.
Ach ja, was las ich heute in der Buchhandlung, in einem Buch über irgend eine neue Managementlehre: "An Ideen herrscht kein Mangel. Woran wirklich Mangel herrscht, ist an gutem Urteilsvermögen." Jede Wette, daß hier das gleiche Prinzip verborgen liegt?
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Gibt es Grundlagen, die man beim Schreiben eines Romans/einer Kurzgeschichte/eines Artikels/ einer Satire stets beachten sollte?
Die grundlegendste Grundlage ist: am Ende soll das, was man geschrieben hat, so gut sein, wie man es nur hinbekommen konnte. Und die grundlegendste Frage ist entsprechend: wie kriegt man einen Roman/...etc. gut hin?
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In der Beurteilung, daß etwas nicht gut klingt tue ich mich relativ leicht. Das Problem ist dann "nur", eine bessere Version zu finden!
Wie machen wir es denn im täglichen Leben? Wenn wir im Schuhgeschäft endlich drei Paar Schuhe beisammen haben, die einigermaßen in Frage zu kommen scheinen, dann HALTEN WIR SIE NEBENEINANDER, um festzustellen, welches Paar denn nun das Beste ist.
Qualität erkennt man niemals so leicht, wie wenn man vergleicht. Und nur durch Vergleichen schult man sein Qualitätsempfinden.
Man könnte also einen Text schreiben, ruhen lassen, kritisch lesen, nochmal ruhen lassen - und dann, ohne ihn nochmal anzusehen, dieselbe Geschichte NOCHMAL schreiben. Ruhen lassen. Und nun VERGLEICHEN.
Es ist nicht gesagt, daß die zweite Fassung besser sein muß. Oft ist sie es, vor allem dann, wenn man beim ersten Mal noch nicht so genau wußte, wo es langgeht. Manchmal ist man entspannter, wenn man weiß, eine Fassung hab ich ja schon, die nicht so übel war. Manchmal aber ist man beim Schreiben in einer sehr ekstatischen Stimmung, fast eine Art Rausch, und kann eine Ursprünglichkeit und Kraft einfangen, die man nicht mehr hat, wenn sich der Kopf zu sehr einschaltet.
Ich gestehe aber, daß ich selten etwas zweimal geschrieben habe, weil mir das zu langweilig war. Wenn ich einen Text zum zweitenmal geschrieben habe, dann war der Grund meistens... ein Datenverlust.
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Ich denke, gut zu schreiben ist vor allem harte Arbeit.
Erich Kästner hat einmal etwas darüber gesagt, wie sehr er an einem Text feilen müsse, damit der sich so liest, als sei er ganz leicht und locker-flockig hingeschrieben worden...
Aber andererseits gibt's das auch - diese magischen Momente, wo es fließt, und nachher steht ein Text da, der einem gleichfalls magisch vorkommt (hoffentlich nicht nur einem selbst). Henry Miller nannte das 'cadenza'.
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Ich fand die Bemerkung, daß das Lehrgeld, um das Schreiben in einem bestimmten Gebiet zu erlernen, 100.000 Worte beträgt, interessant.
Ich habe jetzt selber mal nachgerechnet, und finde die Zahl 100.00 auch etwas zu schonend. Eine Million Worte - das scheint mir angemessener. "Schreibe eine Million Worte, und du kannst schreiben." Klingt doch wie eine tolle Regel, oder? - Zumindest: wenn man es dann noch immer nicht kann, kann man es guten Gewissens dreingeben. Oder umgekehrt: solange man diese Marke nicht erreicht hat, darf man nicht aufgeben.
Wichtige - und nun ernstgemeinte - Anmerkung hierzu: Wenn man die eigene Entwicklung über einen längeren Zeitraum verfolgt, stellt man fest, daß die Fähigkeiten nicht kontinuierlich, sondern etappenweise zunehmen. Sozusagen in QUANTENSPRÜNGEN. Eine ganze Weile tut sich nichts, und plötzlich tut's ein Schlägle... Das gilt übrigens für alle Fähigkeiten, die trainiert werden. Sportstudenten wissen das.
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Peter Eisenhardt skizziert seine Geschichten auf großen Packpapierbögen und Tafeln. Machen Sie das in Wirklichkeit auch? Ich habe es bei meinem aktuellen Roman versucht, hatte jedoch Probleme hierbei ein System zu entwickeln.
Nein, ich arbeite mit Notizbüchern, kleinen karierten A5-Spiralblocks zu knapp 2 € das Stück. Darin entwickle ich den Roman langsam von der ersten groben Struktur bis hin zu den einzelnen Szenen, und das Ganze parallel zum eigentlichen Schreiben, was ich immer direkt am Computer mache.
Aber da muß jeder seine eigene Methode entwickeln. Mit großen Packpapierbögen hat, glaube ich, Heinrich Böll gearbeitet. Manche legen sich wochenlang aufs Sofa und erträumen sich die ganze Geschichte, um sie dann in einem Rutsch hinzuschreiben. Man muß herausfinden, was für einen selber funktioniert. Der wichtigste Bestandteil des ganzen Prozesses ist nicht diese oder jene Methode, sondern das, was sich im Gehirn abspielt.
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Wie ist das eigentlich mit den Regeln, die man für journalistische Texte lernt, wie etwa nicht zu lange Sätze zu bauen (15 Worte; der hier ist schon viel zu lang), passive Konstruktionen zu vermeiden, kann man das auf Fiction übertragen?
Alle diese Regeln haben ja Gründe. Wenn man in einem belletristischen Text die gleichen Gründe hat, kann man die gleichen Regeln anwenden. Manchmal hat man aber andere Gründe. Kurze Sätze wirken anders als lange. Passive Konstruktionen wirken anders als aktive.
Ich halte eigentlich nichts davon, sich solcher Möglichkeiten von vornherein zu berauben. Gut ist es sicher, sich solcher Einflußfaktoren bewußt zu sein, aber es kommt immer darauf an, wie der Text klingen soll.
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In Ihrer Rezension zu "Writing down the bones" schreiben Sie, dass sie sofort mit der einzigen Übung begonnen haben, die in diesem Buch vorkommt. Nämlich dem Schreiben. Was haben Sie in dieser Phase geschrieben? Kurze Geschichten? Gleich einen Roman? Oder einfach nur "the worst junk in the world"?
The worst junk in the world. Das ging ungefähr so: "Ich weiß nicht ob das was wird ich meine wird das was das ist doch alles Käse das klappt doch nicht das bringt überhaupt nichts das ist das Blödste was ich je gemacht habe ich sollte es aufhören aber ich werde es jetzt zehn Minuten lang machen wie lange ist es oh noch nicht mal eine Minute vergangen das halt ich nicht aus und mein Finger tut mir auch schon weh..."
Hat nicht viel Ähnlichkeit mit etwas, das irgendwer lesen möchte, nicht wahr? Aber ich fand es sehr befreiend und fand meinen Spaß daran, es einfach zu tun. Immerhin, ich schrieb etwas, und das an sich machte Spaß. Dann, später, las ich das mal durch und fand auf ca. 30 Seiten einen einzigen Satz, den ich gut fand, aber den dafür richtig gut. Poetisch. Wie es einem nur gelingt, wenn das vernünftige Denken gelangweilt abschaltet. Und das war es wert, fand ich.
Wohlgemerkt: Goldbergs "Timed Exercise" ist genau das - eine Übung. Ein Training. Sozusagen das Aufwärmen für den eigentlichen Lauf. Ihr Hauptzweck ist, das Hauptproblem beim Schreiben zu lösen - den "Integrierten Lektor" zum Schweigen zu bringen. Sie ersetzt nicht alles andere, was man noch veranstaltet um das eigentliche Schreiben herum - das Charakterisieren der Personen, das Skizzieren der Handlung usw.
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Da gibt es Regeln, die völliger Schwachsinn sind (schreibe nie in der ersten Person), die aber angeblich vom sogenannten Markt verlangt werden.
Das Problem entsteht, wenn Verleger
an Regeln glauben. Immer kritisch. Auch wieder die Geschichte mit dem Urteilsvermögen...! Aber irgendwann kommt immer einer, bricht alle Regeln und hat genau damit Erfolg.
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Wie stehen Sie zu der Adjektiv-Problematik? Zensieren Sie ihre Adjektive, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie zu viele einsetzen oder sagen Sie: ich will dieses Adjektiv (oder Adverb) hier und jetzt und dabei bleibt es, egal, ob es eine Häufung gibt?
Offen gestanden verwechsle ich die Begriffe Adjektiv und Adverb immer wieder, wie ich generell in Grammatik ganz schlecht bin. Deshalb tue ich mich wohl auch mit der neuen deutschen Linksschreibung so schwer: weil ich nicht nach Regeln Deutsch gelernt habe, sondern durch erstens Lesen, zweitens Lesen und drittens Lesen. Imitation also.
Aber immerhin bin ich imstande, die Teufelsdinger zu identifizieren, die Sie meinen. So ein Satz wie "Die blutjunge Frau legte ihre schmale Hand an ihre blasse Stirn..." läßt bei mir schon die Alarmglocken klingeln. Hoffe ich jedenfalls... :-)
Es geht ja darum, in einem Text die Stellen zu identifizieren, an denen er gut ist, und die, an denen er schlecht ist. Adjektive und Adverbien sind lediglich ein Indiz dafür, daß an einer Stelle möglicherweise etwas schlecht ist. Aber warum? Nicht weil Adjektive an sich verboten gehörten - man braucht sie manchmal durchaus. Oft sogar. Nein, der übermäßige Gebrauch weist darauf hin, daß man an dieser Stelle ein unklares Bild hat von dem, was geschieht, oder aber es schlampig eingefangen hat - was man durch Wortigkeit, viele "ungefähre" Beschreibungen usw. auszugleichen sucht. Ein Indiz also, daß man den TREFFENDEN Ausdruck noch nicht gefunden hat. Darum geht es.
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Es gibt bestimmte Kriterien, die man immer wieder hört und die jeder Editor und Agent wiederkäut, ob er nun Ahnung vom Schreiben hat oder nicht. James Frey hat diesen Diskurs auch für das deutsche Publikum zusammengefasst.
Man sollte sich gerade als "Nachwuchsautor" einmal ernsthaft die Frage stellen, warum man eigentlich nie Romane von, sagen wir, Sol Stein, James N. Frey oder ähnlichen Schreibgurus in den Bestsellerlisten findet. Ich meine, diese Leute haben die Regeln doch wirklich verstanden, oder? Und so beschäftigt damit, Schreibworkshops zu geben, daß sie nicht dazu kämen, einen Millionenbestseller zu schreiben, dürften sie auch nicht sein. Was heißt EINEN Millionenbestseller? Permanent die vordersten Plätze blockieren müßten sie mit Romanen, die uns beim Lesen die Socken ausziehen. Tun sie aber nicht. Tatsächlich lesen sich die Erzeugnisse dieser Herren in der Regel, vorsichtig ausgedrückt, doch eher bemüht.
Man gerät, wenn man zu viele Bücher übers Schreiben liest, leicht in die Falle, Romane (fremde und eigene) nur noch danach zu beurteilen, ob sie DIE REGELN EINHALTEN - nicht danach, ob sie GUT sind. Das sind aber zwei Paar Stiefel. Zuviele Regeln im Kopf verstellen die Sicht auf das, was tatsächlich abgeht. Mit Regeln im Kopf Romane zu schreiben, das ist so, wie wenn ein junger Mann Ratschläge eines Sexratgebers auswendig lernt, ehe er zu einem vielversprechenden Rendezvous aufbricht. Beides wird schiefgehen. Beides aus praktisch den gleichen Gründen.
Der einzige Autor unter denen, die sich zum Thema "Bestseller schreiben" geäußert haben, der nun wirklich sachkundig ist, ist Stephen King. Dankenswerterweise hat er dieses wunderbare "On Writing" veröffentlicht, in meinen Augen eines seiner besten und bewegendsten Bücher überhaupt, und interessanterweise sagt er darin Dinge, die dem, was so gemeinhin ständig wiedergekäut wird, teilweise diametral zuwiderlaufen. Von Plotlinien, Turningpoints usw. hält er schon mal überhaupt nichts, dagegen viel davon, in das eigene Innere abzutauchen und die Geschichte in sich selber zu finden - von Phantasie, kurz gesagt.
Regeln versuchen das, was eine gute Geschichte ausmacht, irgendwie faßbar, greifbar zu machen. Ich sage nicht, daß sie das nicht teilweise auch tun. In behutsamen, nahezu homöopathischen Dosen können sie einem mitunter weiterhelfen. Aber man muß aufpassen mit der Dosierung.